Neue Veröffentlichung: Anmerkung zu Urteil des Bundesarbeitsgerichts: Übergang des Bruttolohnanspruchs auf die Bundesagentur für Arbeit bei Inanspruchnahme von Insolvenzgeld

Rechtsanwalt Blank hat in der aktuellen EWiR (2014, S. 725) eine Anmerkung zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25.6.2014 (ZIP 2014, 2147) verfasst. Dieses behandelt den Übergang des Bruttolohnanspruchs auf die Bundesagentur für Arbeit bei Inanspruchnahme von Insolvenzgeld (auch bei Grenzgängern).

Leitsatz des Gerichts:

Der durch den Antrag auf Insolvenzgeld bewirkte gesetzliche Anspruchsübergang erfasst – begrenzt auf die Höhe der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze – den Bruttolohnanspruch des Arbeitnehmers.

 

BAG, Urt. v. 25.6.2014 – 5 AZR 283/12  (LAG Saarland ZIP 2013, 591) 

Kurzkommentar:

Michael J. W. Blank, Rechtsanwalt, FA für Insolvenzrecht und Insolvenzverwalter - Fischer Krauter Blank & Möller, Völklingen/Saar

 

1.  Die Klägerin ist deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz in Frankreich im Grenzgebiet zu Deutschland. Nach dem Doppelbesteuerungsabkommen mit Frankreich (DBA Frankreich) wurde ihr der Grenzgängerstatus zuerkannt. Die Klägerin macht gegen den beklagten (vormals „starken“ vorläufigen) Insolvenzverwalter nach Inanspruchnahme von Insolvenzgeld im Wege der Vorfinanzierung durch eine Bank noch Zahlung restlichen Nettolohns in Höhe der fiktiv ermittelten Abzüge für Lohnsteuer und Soli in Höhe von insgesamt 1.830,66 Euro als Masseverbindlichkeit gem. § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO geltend. Das Landesarbeitsgericht hielt die Klage für begründet.

 

2. Die (zugelassene) Revision des beklagten Insolvenzverwalters hatte Erfolg. Die streitgegenständlichen Ansprüche gem. § 611 Abs. 1 BGB iVm. § 55 Abs. 2 S. 2 InsO seien mit Stellung des Antrags auf Insolvenzgeld gem. § 187 SGB III a.F. (ab 1.4.2012: § 169 SGB III n.F.) auf die Bundesagentur in Höhe des Bruttolohnanspruchs übergegangen, sodass es an der Aktivlegitimation der Klägerin fehle. Bereits der Wortlaut des § 187 SGB III a.F. spreche für einen Übergang des Bruttolohnanspruchs. Während der Anspruchsübergang nach § 115 Abs. 1 SGB X auf die „Höhe der erbrachten Sozialleistungen“ beschränkt sei, ginge nach § 187 SGB III a.F. die Ansprüche auf Arbeitsentgelt, „die einen Anspruch auf Insolvenzgeld begründen“, auf die Bundesagentur für Arbeit über. Anspruchsbegründend sei jedoch nach § 185 Abs. 1 SGB III das auf die monatliche Beitragsbemessungsgrenze (§ 341 Abs. 4 SGB III) begrenzte Bruttoarbeitsentgelt. Dies ergebe sich auch aus dem Sinn und Zweck der §§ 183 ff. SGB III a.F. Das Insolvenzgeld diene nach seiner Zielsetzung der Absicherung des Arbeitsentgelts des Arbeitnehmers bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers und stelle materiell eine eigenständige Sozialversicherung dar; Insolvenzgeld sei demnach kein Arbeitslohn. Ausgehend von dem allg. Grundsatz der Schadensversicherung, das versicherte Interesse auf die Kompensation des Einkommensverlustes zu beschränken (BSG, Urt. v. 20.6.2001 – B 11 AL 97/00), würde ein auf das Nettoentgelt begrenzter Anspruchsübergang, verglichen mit der Situation außerhalb der Insolvenz, zu einer ungerechtfertigten Besserstellung des Arbeitnehmers führen: Er erhielte Insolvenzgeld, das nach § 3 Nr. 2 EStG nicht zu versteuern sei und lediglich dem Progressionsvorbehalt des § 32b Abs. 1 Nr. 1 lit. a EStG unterliege; zudem behielte er den Anspruch auf die steuerliche Bruttorestlohnforderung.

 

3.1 Das BAG hält an seiner bisherigen Rspr. (BAG ZIP 1998, 868 zu § 141m AFG a.F.; ZIP 2013, 86 zu § 187 SGB III a.F.) - auch für Grenzgänger – mit überzeugender Begründung fest. Das BAG hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der gesetzliche Übergang des Bruttolohnanspruchs gem. § 187 SGB III a.F. auch im Hinblick auf die Besonderheiten der Besteuerung von Grenzgängern weder gegen Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichbehandlungsgrundsatz), noch gegen Art. 45 Abs. 2 AEUV iVm. Art 3 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1612/68 (Diskriminierungsverbot) verstößt, denn er betrifft in seinen Rechtsfolgen alle Arbeitnehmer - unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit - gleichermaßen. Zwar unterliegt die Klägerin nach Art 13 Abs. 5 des DBA Frankreich in Form des Zusatzabkommens v. 28.9.1989 (BGBl. II S. 772) zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik grds. nicht dem Steuerabzug in Deutschland; nach diesem Abkommen muss der Grenzgänger seinen vom deutschen Arbeitgeber gezahlten Bruttolohn an seinem Wohnsitz in Frankreich versteuern. Aufgrund einer Verständigungsvereinbarung mit Frankreich (BMF-Schreiben v. 16.7.1979, BStBl. I S. 486, gültig gem. Positivliste der BMF-Schreiben v. 9.4.2013, BStBl I S. 522) ist das in Deutschland an französische Arbeitnehmer gezahlte Insolvenzgeld dort nicht (mehr) zu versteuern (und das gilt auch im vorliegenden Fall bei anerkanntem Grenzgängerstatus einer deutschen Arbeitnehmerin), weil das Besteuerungsrecht für Bezüge, die aus der gesetzlichen Sozialversicherung in Deutschland gezahlt werden, ausschließlich dem „Quellenstaat“, mithin Deutschland, zusteht (vgl. LSG Rheinland-Pfalz NZS 2003, 385). Auch zeigt die gelebte Praxis, dass die Gefahr für einen Grenzgänger nicht besteht, das an ihn gezahlte Insolvenzgeld beim französischen Fiskus nochmals versteuern zu müssen. Die Bundesagentur weist in ihrem Insolvenzgeldbescheid den ausländischen Arbeitnehmer, soweit dieser in Belgien, Dänemark, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich oder der Schweiz wohnt, ausdrücklich auf die steuerliche Behandlung des in Deutschland gezahlten Insolvenzgeldes hin, wonach das Besteuerungsrecht für das gezahlte deutsche Insolvenzgeld aufgrund einer Einigung mit den genannten Ländern nur der Bundesrepublik Deutschland zusteht. Die Arbeitnehmer werden von der Bundesagentur angehalten, den Insolvenzgeldbescheid dem französischen Finanzamt vorzulegen, um steuerliche Nachteile des Grenzgängers zu vermeiden.

 

3.2 Im Falle des vom LAG angenommenen, auf das Nettoentgelt beschränkten Anspruchsübergangs hätte ein Zugriff des Arbeitnehmers auf die steuerliche Bruttorestlohnforderung in Grenzregionen zu einer Besserstellung der Grenzgänger und im Hinblick auf § 55 Abs. 3 InsO zu einer systemwidrigen Belastung der Insolvenzmassen mit (aufgedrängten) Masseverbindlichkeiten geführt (vgl. dazu Blank, ZInsO 2012, 1841 – abl. Anm. zu LAG Saarland). Das BAG hat die durch das LAG ausgelöste Verunsicherung beseitigt und der Hochzonung der fiktiv ermittelten Abzüge für Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag zu Masseverbindlichkeiten gem. § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO eine klare Absage erteilt.